Cham
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Sehbehinderte und blinde Menschen sollen sich uneingeschränkt und sicher im öffentlichen Raum bewegen können. Darauf aufmerksam macht am 15. Oktober der «Internationale Tag des Weissen Stockes». Darüber unterhielten wir uns mit Adrienn Seifert, die mit Weissem Stock und ihrem Blindenführhund unterwegs ist.
Adrienn Seifert ist eine junge, lebensfrohe Frau. Sie ist auf einem Auge blind und hat auf dem anderen knapp 5 Prozent Sehkraft. Wenn sie mit ihrem weissen Stock und ihrem Blindenführhund Unyx unterwegs ist, bemerkt man dies kaum. Schnell und sicher geht sie ihres Weges. Mit ihr unterhielten wir uns über ihre alltägliche Situation.
Rechtlich gesehen ist es klar geregelt. Doch wie sieht es im Alltag aus, wenn Sie mit Ihrem weissen Stock unterwegs sind?
Die meisten Autofahrer sind tatsächlich aufmerksam und halten an. Aber es gibt immer noch einige, die meinen, schnell noch durchfahren zu müssen. Es scheint immer noch nicht allen klar zu sein, obwohl es in der Fahrschule zum theoretischen Stoff gehört.
Können Sie uns kurz erklären, wie der Weisse Stock benutzt wird?
Der Weisse Stock signalisiert meine Sehbehinderung. Stehe ich am Trottoirrand und hebe den Stock gut sichtbar in die Höhe, zeige ich damit, dass ich die Strasse überqueren möchte. Das bedeutet stopp, wie zum Beispiel bei dem Rotlicht an der Ampel. Dann müssen alle Verkehrsteilnehmer auf der Fahrbahn, Autos, Velos, Töffs oder auch E-Trottinetts anhalten und warten, bis ich die Strasse überquert habe.
Es gilt also nicht nur an Zebrastreifen?
Die Regel gilt an jedem Strassenrand. Das ist gerade für völlig blinde Personen, die ohne Blindenführhund unterwegs sind, besonders wichtig, da das selbstständige Auffinden von einem Zebrastreifen nicht möglich ist.
Wie nehmen Sie unsere Umwelt wahr?
Dazu muss ich zunächst sagen, dass ich von Geburt an blind gewesen bin. Dank einer Augenoperation habe ich heute eine Sehstärke auf dem rechten Auge von knapp 5 Prozent, sodass ich Farben und Formen einigermassen wahrnehmen kann. Ich sehe keine Details, aber grosse Werbelogos oder Gebäude erkenne ich schon. Das linke Auge ist aber völlig blind, und mein Gesichtsfeld ist dementsprechend eingeschränkt.
Und wie finden Sie sich dann im Alltag zurecht?
Ich suche immer nach Orientierungspunkten, zum Beispiel wenn ich an einen neuen Ort komme. Vorher habe ich mir alles auf Google Maps im Street View in der Vergrösserung gut angesehen. Dann vor Ort suche ich die entsprechenden Orientierungspunkte. Das kann zum Beispiel eine Kirche sein, und dann weiss ich, dass ich dort rechts vorbei gehen muss. Und auch nach der Sonne kann ich mich orientieren. Ich reise sehr gern und wenn ich in einer fremden Stadt bin, dann weiss ich so, dass ich Richtung Norden gelaufen bin, und jetzt nach der zweiten Querstrasse rechts abbiegen muss.
Wenn Sie an einer Strasse stehen, den Weissen Stock heben, sind Sie dann von Ihrem Hund abhängig? Oder wissen Sie selbst, ob das Auto tatsächlich stehen bleibt oder ob es nur rollt?
Hören ist für mich sehr wichtig. Unyx hilft mir sehr viel, aber er kann es nicht entscheiden. Er sieht zum Beispiel kein Rot oder Grün, aber er kann den Trottoirrand und einen Zebrastreifen anzeigen. Er hat gelernt, wenn er im Führgeschirr ist, auf die Kommandos zu hören. Aber ich bin es, die die Orientierung haben muss, und ich bestimme, wann wir die Strasse überqueren. Ich muss dann auf den Verkehr hören, ob die Autos angehalten haben oder ob noch eines weiterfährt.
Dann sind Nebengeräusche besonders störend für Sie?
Das sind für mich tatsächlich grosse Hindernisse. Eine Baustelle, ein Tram oder auch das Rauschen eines Bachs. So etwas stört mich beim Einschätzen, ob ich jetzt die Strasse überqueren kann oder nicht. Im Zweifelsfall gehe ich lieber nicht, bis ich wirklich sicher sein kann, dass das Auto angehalten hat.
Es kommt natürlich auch auf das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer an.
Rücksichtnahme der anderen Verkehrsteilnehmer ist sehr wichtig und etwas Geduld sollten sie haben. Das Gegenteil ist mir auch schon passiert. Einmal war ich bereits auf dem Zebrastreifen. Ich hatte bemerkt, dass gerade kein Verkehr ist. In diesem Augenblick kam ein Auto um eine Kurve und der Fahrer meinte, dass er noch schnell vor mir durchfahren müsse. Und das kann für mich natürlich sehr gefährlich werden, da ich trotz meiner Sehbehinderung ziemlich schnell unterwegs bin.
Was sind für Sie Herausforderungen, die ich zum Beispiel gar nicht so erwarten würde?
Die allgemeine Aufmerksamkeit und Geduld mir gegenüber. Zum Beispiel, wenn jemand gerade mit seinem Handy beschäftigt ist und mir entgegenkommt, sieht er mich nicht und weiss also nicht, dass ich ihm nicht ausweichen kann. Aber auch die E-Autos und E-Bikes, die ich nur sehr schwer hören kann, sind ein Problem. Insbesondere wenn es in der Umgebung viele Nebengeräusche gibt. Auch ist es wichtig, dass die Leitlinien frei bleiben, dort keine Taschen abgestellt werden oder jemand auf der Leitlinie steht. Die Leitlinie macht es mir möglich, mich zu orientieren und zügig unterwegs zu sein. Kürzlich ist es mir im Zuger Bahnhof passiert, dass dort ein Jugendlicher auf der Leitlinie Kunststücke mit seinem Velo gemacht hat, um zu zeigen wie cool er ist. Erst im letzten Moment wich er mir aus. Das ist dann schon ein Schreckensmoment, der mir in die Glieder fährt. Aber es überwiegen die positiven Erfahrungen mit meinen Mitmenschen. Mir hat auch schon jemand unaufgefordert gesagt, welcher Bus gerade an der Haltestelle steht. Solche Kleinigkeiten machen extrem viel aus.
Vielleicht noch ein paar Worte zu Ihrem Hund.
Es ist eine sehr, sehr enge Beziehung. Wir sind jetzt seit sieben Jahren ein Team. Unyx ist eine tolle Begleitung auf vier Pfoten, gerne unterwegs und immer neugierig. So wie ich mag er es zu reisen, sagt gerne den Leuten «Grüezi». Er passt vom Charakter genau zu mir. Nimmt aber seine Aufgaben ernst, führt sehr genau, zeigt Hindernisse an, erkennt sogar Bankomaten, kann links und rechts unterscheiden. Auf Strecken, die wir regelmässig gehen, kennt er den Weg genau.
Wie würden Sie in einem Satz Ihre Beziehung zu Unyx beschreiben?
Er ist mein Auge, mein Herz, meine Seele, mein bester Freund, er ist meine zweite Hälfte.
Uwe Guntern
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In der Schweiz gibt es knapp 400’000 sehbehinderte und blinde Personen. Für sie gibt es die Schweizerische Verkehrsregelnverordnung, Artikel 6, Absatz 4: «Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen.» Das Missachten dieser Regel führt direkt zu einer schriftlichen Anzeige und einem Strafverfahren.
Zur Person
Adrienn Seifert ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat als Juristin bei einer IT Firma gearbeitet. Bei der Regionalgruppe Zürich des Schweizerischen Blindenbundes war sie mehrere Jahre lang Vorstandsmitglied. Zusätzlich hält sie Vorträge in Primarschulen zum Thema Mobilität und Sehbehinderung. Adrienn Seifert reist sehr gern und möchte dies für andere Sehbehinderte auch ermöglichen und persönlich angepasste Reisen organisieren.
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